Predigt zur Beerdigung von Hanna Madita Bronner am 08.11.18

Warum? Wo? Wie?

Ich vermute mal, dass niemand, der hier heute Morgen sitzt, keine Fragen an das Leben oder an Gott hat. Ich glaube wir alle haben die eine oder andere Frage, die wir uns stellen. Dass Hanna nur kurze Zeit leben wird, war schon lange bekannt. Ihr als Eltern, als Angehörige, als Freunde konntet euch schon lange gedanklich damit beschäftigen. Aber das heißt ja nicht, dass man auf alles eine Antwort gefunden hat oder auch finden wird. Ich selber erinnere mich noch gut an den Moment, als du Ina, mir und Kirsten erzählt hattest, dass ihr wieder ein Kind erwartet. Und dann später, dass Untersuchungen anstehen. Dann die traurige Diagnose. Und dann erinnere ich mich auch noch gut daran, wie wir zusammen im Garten saßen und über diese neue Situation gesprochen haben. Die Fragen, die da waren und auch an die Sprachlosigkeit in manchen Momenten. Ich glaube, es ist das Normalste von der Welt, dass wenn ein Kind wie Hanna nur kurz leben darf, dass wir dann Fragen haben. Fragen, auf die wir nicht so schnell eine Antwort finden. Fragen, die uns sprachlos machen. Fragen, die uns vielleicht auch um den Verstand bringen können. Ich glaube, es ist aber wichtig, dass wir diese Fragen zulassen. Nicht um möglichst schnell eine Antwort zu finden, sondern um der Frage erstmal Raum zu geben. Vielleicht wird sich die eine oder andere Antwort für euch finden. Vielleicht werdet ihr aber auch lernen mit unbeantworteten Fragen zu leben. Was sind diese Fragen, die wir vielleicht haben? Natürlich die Frage nach dem „Warum?“ Warum durfte Hanna nur so kurz leben? Warum durftet ihr als Eltern sie nur so kurz in euren Armen halten? Nur ein paar Stunden. Warum durften wir nicht erleben, wie sie aufwächst, in den Kindergarten und zur Schule kommt? Ihren Lebensweg geht. Warum? Dann gibt es die Frage nach dem Wo? Wo ist eure Tochter jetzt? Werdet ihr sie wiedersehen? Und dann gibt es auch die Frage nach dem „Wie“? Wie geht es für euch weiter? Als Ehepaar? Als Familie mit Elias? Das sind so die drei Fragen, über die ich mit euch nachdenken möchte. Und ich sage schon einmal so viel, dass ich auf eine Frage keine Antwort haben werde. Auf eine Frage habe ich eine ganz klare Antwort. Und bei einer Frage, da liegt es an euch.

Warum? Die erste Frage: Warum? Warum durfte Hanna nur ein paar Stunden leben? Warum kam sie nicht als gesundes Kind zur Welt? Warum hat Gott nicht die Gebete erhört? Warum dieses Leid? Das ist ja eine Jahrtausende alte Frage. Die Frage, wie es zusammenpasst, dass Gott auf der einen Seite allmächtig und gütig sein soll und es dennoch Leid in der Welt gibt. Kann Gott das Leid nicht verhindern? Dann wäre er nicht allmächtig. Will er es nicht verhindern? Dann wäre er gemein. Oder kann und will er nicht? Dann wäre er schwach und gemein zugleich. Das ist die Frage, die sich immer wieder stellt. Wie ist das mit Gott und dem Leid? Warum? Dieser Gott sagt doch über sich selber:

„Ich habe Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“ (Jer 29,11) In der Bibel finden wir verschiedene Erklärungsmodelle. Zum Beispiel, dass Menschen leiden, weil sie nicht nach Gottes Geboten gelebt haben.Und manchmal trifft das ja auch zu, dass Menschen leiden, weil sie die guten Gebote Gottes missachteten. Aber doch nicht bei eurer Tochter Hanna. Das passt nicht. Und ich könnte jetzt mit euch alle Denkmodelle durchgehen, die es gibt, um Leid zu erklären. Den Teufel. Die Gefallenheit der Welt. Die Freiheit des Menschen. Leid als Erziehungsmittel Gottes. Leid, weil sich Gott verherrlichen will. Und so weiter. Aber keines dieser Erklärungsmodelle könnte euch eine gute und tröstende Antwort liefern, die keine Fragen offen lässt. Ich schlage mich mit dieser Frage nach dem „Warum“ eigentlich schon so lange rum, - so lange wie ich an Gott glaube. Und diese Erklärungsmodelle sind auch ganz hilfreich. Sie helfen zu wissen, dass es irgendwo eine Antwort geben wird. Aber sie helfen nicht in der Situation. Wenn wir im Leid drinnen stecken. Dann helfen diese Erklärungsmodelle nicht, wie so eine Checkliste, die man durchgehen kann, und dann hat man seine Erklärung und kann irgendwie weiterleben. Wir sehen das Leben eben nicht aus der Vogelperspektive. Wir haben nicht die Perspektive Gottes. Und selbst im Buch Hiob, einem Buch in der Bibel, wo es um die Frage nach dem Leid geht, weiß der gute Hiob am Ende nicht, warum er gelitten hat. Und auch dieser Satz von Hiob, der immer gerne auf Trauerfeiern vorgelesen wird:

„Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen; der Name des HERRN sei gelobt!“ (Hb 1,21)

der stimmt so ja nicht. Gott hatte Hiob nichts genommen. Gott hatte es zugelassen, ja, aber es war nicht Gott selbst. Hiobs eigener Erklärungsversuch geht auch am eigentlichen Geschehen vorbei. Wir sehen das Leben eben nicht aus der Vogelperspektive. Wir haben nicht die Perspektive Gottes. Ich glaube, dass es gut ist, wenn wir die Frage nach dem „Warum“ zulassen, weil in dieser Frage unsere ganze Ratlosigkeit, unsere Trauer und unser Schmerz und unsere Hilflosigkeit zu Tage tritt. Und so können wir uns dann trösten und trösten lassen. Aber genauso glaube ich, dass wir nicht versuchen sollten, diese Frage zu beantworten, weil alle Antworten immer nur Versuche sein können. Also ich finde die Frage nach dem „Warum“ wichtig, aber es ist auch die Frage, auf die ich keine Antwort habe.

Wo? Die Frage auf die ich eine ganz klare Antwort habe ist die Frage nach dem „Wo?“ „Wo“ ist eure Tochter jetzt? Werdet ihr sie wiedersehen? Meine Antwort ist: Bei Gott. Ihr werdet sie wiedersehen. In dem Moment, als eure Tochter Hanna in euren Armen eingeschlafen ist, war sie sofort in den Armen eures himmlischen Vaters. Ich weiß jetzt nicht, wie ihr diese Frage findet. Vielleicht sagst du dir, dass das doch eine ganz einfache Frage ist. „Was sollte das für ein Gott sein, der die kleinen Kinder nicht bei sich aufnimmt? Natürlich sind die kleinen Kinder, die leider zu früh sterben bei Gott.“ Das sehe ich auch so. Aber vielleicht tust du dich mit dieser Frage auch schwer. Vielleicht denkst du an Bibelworte, wo es heißt, dass alle Menschen erstmal von Gott getrennt sind, dass alle Sünder sind. Ja, auch das sehe ich so. Zu Gott kommen wir durch die Gnade Gottes. Und diese Gnade Gottes zeigt sich in seinem Sohn Jesus Christus, der für uns alle am Kreuz gestorben ist, der unsere Schuld und Sünde da getragen hat. Also Gott selbst wurde Mensch und hat sich dem Tod ausgesetzt. Und wer sich an diesen Gott festhält, ihm vertraut, ihm glaubt, der wird bei Gott sein. Deshalb habt ihr, Ina und Sebastian, ja diese Gewissheit, dass ihr bei Gott sein werdet. Trotz Schuld und Sünde, die von Gott trennen kann, die Gott aber beiseitegeschoben hat. Aber es ist nicht nur so, dass wir Menschen uns für Gott entscheiden.Vielmehr entscheidet sich dieser Gott für uns. Und ganz besonders entscheidet sich dieser Gott für die Menschen, die sich noch nicht selber für Gott entscheiden können, für die Kinder. Als Gott in Jesus Christus auf diese Welt kam hat sich dieser Jesus auch ganz besonders den Kindern zugewandt. Und er hat nicht nur Zeit mit ihnen verbracht, er hat sie auch gesegnet. Das ist was ganz Besonderes. Der Segen Gottes, das sind nicht „gute Worte“. Der Segen Gottes ist das Gute von Gott, das aus einer Verbindung zu Gott entsteht. Und wenn Jesus diese kleinen Kinder segnet, dann sagt er damit auch, dass sie in einer Verbindung zu Gott stehen. Gott ist ihnen gnädig. Und deshalb kann ich euch vom Wort Gottes, das er uns selbst gegeben hat zusagen, dass ihr eure Tochter Hanna wiedersehen werdet. Weil ihr euch für diesen Gott entschieden habt. Und weil sich dieser Gott für euch und ganz besonders für eure Tochter Hanna entschieden hat. Ich habe diese Tage von Dietrich Bonhoeffer folgenden Satz gelesen:

„Die Auferstehung Christi macht offenbar, dass wir Zukunft haben. Leiden und Tod verlieren dadurch nichts von ihrer Bitterkeit, aber sie erscheinen in einem anderen Licht.“

Dadurch, dass eure Tochter Hanna bei Gott ist, nimmt das ihrem Tod nicht die Bitterkeit, oder den Schmerz. Ich halte auch nicht viel von diesem Satz, dass sie jetzt an einem besseren Ort ist. Der ist ja genaugenommen richtig. Aber wenn man Vater oder Mutter ist, kann man sich halt nur schwer einen besseren Ort für die eigenen Kinder vorstellen als in den eigenen Armen. Und dass das nicht sein wird ist bitter. Aber Bonhoeffer hat Recht, wenn er sagt, dass euer Leid und der Tod in einem anderen Licht erscheinen. Ihr habt nämlich eine Zukunft, und die ist ganz wunderbar. Weil es wird einmal der Moment kommen, wo ihr eure Tochter wiedersehen werdet. Bei Gott. Und wenn ihr in seine Ewigkeit eingehen werdet, dann wird euch eine Frau entgegen treten, und sie wird euch in den Arm nehmen. Und diese Frage nach dem „Warum“, auf die ich und wohl auch niemand anders eine Antwort gehen kann, die wird sich dann nicht mehr stellen.

Wie? Die letzte Frage.„Wie?“ Wie geht es weiter? Wie könnt ihr weiterleben? „Das Leben geht weiter“, heißt es so oft. Aber ich glaube es ist in Ordnung, wenn das Leben auch mal nicht weiter geht. So als würden in eurem Leben die Uhren stillstehen und die Zeit zum Erliegen kommen.Eure Tochter Hanna ist gestorben. Und ihr hattet nur wenige, zu wenige gemeinsame Stunden. Größeres Leid können Eltern nicht erleben. Nehmt euch die Zeit zum Trauern, die ihr braucht. Soviel ihr braucht. Und gebt sie euch gegenseitig. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man als Ehepaar auch nicht immer synchron trauert. Mal wird die Trauer bei einem von euch vielleicht größer sein, als bei dem anderen. Und dann wieder umgekehrt. Paulus schreibt:

„Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.“ (Rö 12,15) Versucht euch sowohl auf die Trauer des anderen einzulassen, aber auch auf das Fröhliche, dass auch in eurem Leben da ist. Wer mit einem Zweijährigen zusammen lebt, der wird auch immer was haben, worüber man sich freuen kann.

Daniel Behrens