Hanna ist im Himmel¶
Es war einmal ein fröhlicher kleiner Spatz. Er hieß Max. Max lebte mit seiner Spatzenmama und seinem Spatzenpapa in einem großen Nest in einem alten Birnenbaum.
Eines Tages sagte der Spatzenpapa: „Max, wir bauen uns ein neues, kleines kuscheliges Nest.“ „Wieso denn, Papa?“ fragte Max erstaunt. „Schau mal runter.“, antwortete sein Vater, „Siehst du das große Nest dort?“. Max reckte seinen kleinen Hals und spähte in die Richtung, die der Papa ihm nannte. „Ooooh, das ist aber groß. Das muss eine große Spatzenfamilie sein, Papa. Dann hab ich ja endlich jemanden, mit dem ich spielen kann.“, freute sich Max. Sein Vater antwortete bedrückt: „Leider nein, mein Sohn. Das Nest gehört einem Habicht. Das sind große und sehr gefährliche Vögel. Darum müssen wir jetzt schnell umziehen. Hilfst du mir, das Nest zu bauen?“„Au ja“, freute sich Max.
Gemeinsam mit seinem Papa und seiner Mama begann er, die Zweige und Gräser zu einem hübschen kleinen Nest zu bauen. Es war das erste Mal, dass er mitbauen durfte und er freute sich riesig darüber. Als sie fertig waren, hielten sich die drei in den Flügeln und begutachteten zufrieden ihr Nest.
Erschöpft von der Arbeit, aber zufrieden kuschelte sich Max bei seiner Mama ein und schloss die Augen. Wie jeden Abend sang sie vom Vater im Himmel, der alles auf der Welt gemacht hat und sogar jeden Spatz in seiner Hand hält.
Eines Tages war es dann endlich soweit. Die Spatzenmama legte ein klitzekleines Ei in das neue kuschelige Nest. Stolz und voller Freude bestaunte Max das kleine Ei. „Juhuu, ich bekomme ein Geschwisterchen.“, rief Max voller Freude. „Ja, mein kleiner Spatz.“, die Mama strich ihm voller Liebe über den Kopf, „Du wirst ein ganz toller großer Bruder für unser neues Baby sein.“
Sie alle hatten schon viele Träume, was sie gemeinsam mit dem neuen Spatzenbaby machen wollten.
Papa träumte davon, wie er mit dem Baby und Max wilde Touren durch den Wald fliegen würde.
Mama träumte davon, wie sie das Spatzenbaby mit dicken fetten Raupen füttern, es auf den Flügeln wiegen und gemeinsam mit ihm und Max die Welt erkunden würde.
Ja, und Max träumte davon, wie er mit dem Spatzenbaby über bunte Wiesen fliegen und sie mit seinem besten Freund Karl, dem Kaninchen, spielen würden.
Oh, wie freute er sich auf das Spielen mit dem neuen Geschwisterchen.
Tag für Tag wärmte die Spatzenmama das Ei und der Spatzenvater versorgte sie. Max durfte zwischendurch immer wieder sein kleines Ohr an das Ei legen und horchen, welche Geräusche sein Geschwisterchen macht.
Eines Tages sah er jedoch, wie die weise Eule sich das Ei besorgt und traurig ansah. Auch seine Mama sah traurig aus. Eine dicke Träne rollte über ihren Schnabel.
Max hatte Angst und blickte von der Eule zur Mama: „Mama, wa, was ist hier los? Wieso weinst du? Wieso ist die Eule hier?“, fragte er seine Mama noch während er im Landeanflug war.
Schluchzend erklärte ihm seine Mama: „Max, siehst du das Loch hier in der Schale?“
„Jaaa?“ flüsterte Max leise. „Durch das Loch konnten wir sehen, dass es ein kleines Spatzenmädchen ist, das aber sehr krank ist. Im Ei wird sie weiter wachsen und irgendwann dann auch daraus schlüpfen. Aber sie wird dann sehr bald sterben und zum Vater im Himmel gehen. Da wird sie nicht mehr krank sein. Dort wird es ihr dann richtig gut gehen.“, erklärte seine Mutter ihm, während noch mehr Tränen ihren Schnabel runter kullerten. „Heiß, heißt das, dass ich dann kein Geschwisterchen habe?“ fragte Max mit zitternder Stimme.
„Max, du wirst immer eine kleine Schwester haben. Nur kannst du leider nicht mit ihr spielen. Aber sie wird immer in deinem Herzen sein und irgendwann wirst du sie im Himmel kennen lernen. Dort wird sie auf uns warten. Dort kannst du dann für immer mit ihr spielen“ . „Mama, ich versteh nicht. Ist das meine Schuld? Ich war manchmal ja so laut und bin auch immer wieder an das Ei gestoßen aus Versehen.“, fragte Max mit zitternder Stimme. „Nein, Max, sowas darfst du nicht denken. Sie freut sich, wenn sie dich hört oder auch mal von dir geschüttelt wird. In der letzten Zeit habe ich manchmal das Ei wackeln sehen vor Freude, als du durchs Nest getobt bist.“, erklärte Mama liebevoll.
Als der Spatzenpapa nach Hause kam, lagen die drei sich noch lange in den Flügeln und weinten gemeinsam. „Sie braucht einen Namen.“, sagte die Spatzenmama.
Gemeinsam mit dem Papa nannten sie Max‘ kleine Schwester daher Hanna. „Hanna bedeutet, dass Gott wirklich gut ist. Sie ist ein Geschenk.“, erklärte die Mama Max, während sie langsam mit ihren weichen Federn über sein Gesicht strich, „Auch wenn sie nicht lange bei uns bleiben kann.“
„Tick, tick, tick“, klopfte es eines Tages leise aus dem Ei. Max war aufgeregt. Heute war es also soweit. Seine Schwester Hanna würde auf die Welt kommen und er könnte sie endlich auf seine Flügel nehmen. Langsam durchbrach der kleine Schnabel das Ei. Die Spatzenmama und der Spatzenpapa halfen ihr dabei. Vor ihm lag ein wunderhübsches Spatzenmädchen. Sie war das süßeste Spatzenbaby, das er jemals gesehen hatte.
Abwechselnd nahmen Papa, Mama und Max ihre kleine Hanna auf die Flügel und bestaunten das neue Baby. Ihre winzigen kleinen Flügel, der klitzekleine Schnabel. Die Federn waren so weich. Max flüsterte ihr leise ins Ohr: „Ich hab dich lieb.“
Hanna sah sie müde an. Eines Tages atmete sie immer leiser und schloss die Augen langsam wieder. Immer leiser atmete sie, bis sie irgendwann ganz aufhörte zu atmen. Max erschrak fürchterlich und weinte so sehr, dass die Tränen über seinen kleinen Schnabel rollten. Was passierte hier nur? Hanna war gestorben. Reglos lag sie da.
Da hörten sie eine Stimme von unten. „Max? Mahax?“ Es war Max bester Freund, Karl, das Kaninchen. Er hatte schon gehört, dass Max eine Schwester bekommen hat. Er hatte aber auch gehört, dass Hanna gestorben war.
Deshalb kam Karl angehoppelt, um seinen besten Freund zu trösten. Max flog zu ihm runter. „Ich verstehe das nicht, Karl“, schluchzte er, während ihm eine dicke Träne über den Schnabel rollte. „Ich wollte doch so gerne mit Hanna spielen. Und Mama und Papa sagen, dass sie jetzt im Himmel ist, aber sie ist doch noch hier.“
Das hörte die Mama. Liebevoll nahm sie Max unter ihren Flügel.„Weißt du Max, das stimmt. Sie ist noch hier und trotzdem ist sie schon im Himmel. Das hier ist ihr Körper, der so krank ist, dass sie nicht leben konnte. Aber ein Teil von ihr, und zwar der allerallerwichtigste, nämlich ihre Seele, die ist beim Vater im Himmel. Und dort wird sie auch für immer sein.“, erklärte sie ihm.
„Karl, es ist gut, dass du da bist. Du bist doch ein richtig guter Buddler, oder?“, fragte die Spatzenmama Karl.
„Klar, buddeln kann ich prima.“, antwortete Karl. „Könntest du uns ein Loch buddeln, in das wir Hannas Körper legen können?“, fragte die Spatzenmama., „Wir müssen jetzt langsam Abschied nehmen“. So begann Karl wie wild zu buddeln. Er buddelte so lange, bis ein Loch da war, das groß genug für Hannas Körper war.
Von der Buddelei aufgeschreckt kam die Taube vom Nachbarbaum angeflogen: „Ruguuh, was ist denn hier los?“ fragte sie Karl.
„Ich buddle ein Loch für Max‘ kleine Schwester. Sie ist gestorben und muss nun begraben werden.“
Gerührt von dem was sie hörte und von der Liebe, die sie bei Max und seinen Eltern sah, beschloss die Taube der Familie etwas zu schenken. So schrieb sie mit einem harten spitzen Stein Hannas Namen auf eine Steinplatte.
Diese Platte legte sie an das Loch, sodass jeder für immer sehen konnte, dass hier Hanna liegt.
Und sie machte noch etwas. Sie machte einen Anhänger für eine Kette, der genauso aussah wie Hanna. Diesen Anhänger schenkte sie Max, damit er sich immer an Hanna erinnern kann. Auch dann, wenn ihr Körper vergraben ist.
Das Loch war fertig und viele Freunde kamen, um gemeinsam mit Max und seinen Eltern die kleine Hanna zu begraben.
Es wurde viel geweint. Mama schluchzte, Papa auch und auch Max kullerten die Tränen vom Schnabel herunter.
Es tat so weh, Hannas weiche Federn nicht mehr streicheln und ihren hübschen kleinen Schnabel nicht mehr berühren zu können.
Aber tief im Herzen wusste er, dass er Hanna irgendwann wieder sehen würde und dass sie dann gemeinsam fliegen und fangen spielen würden.
Er betrachtete sich den Anhänger, den die Taube ihm geschenkt hatte. Und auch wenn er immer noch traurig war. Es tröstete ihn.
Mama, Papa und Max waren noch lange Zeit traurig darüber, dass sie Hanna nicht bei sich haben konnten. Sie vermissten sie sehr.
Aber mit der Zeit wurde die Traurigkeit immer weniger und eines Tages waren Mama und Papa so weit, dass sie wieder zwitschern und singen konnten. Das war ein schöner Tag. Max freute sich so sehr, dass sie gemeinsam ein Konzert anstimmten.
Alle drei vermissten Hanna noch sehr, aber sie freuten sich über ihr Leben und darüber, dass Hanna nun beim Vater im Himmel ist. Das ist doch der beste Ort.
Und bis sie sich wiedersehen würden, würden sie Hanna im Herzen tragen. Die Steinplatte mit ihrem Namen und der Anhänger würden sie immer wieder an sie erinnern. So flogen sie und flogen und zwitscherten und freuten sich darüber, dass der Vater im Himmel so gut ist.